Griechischer Wein: So wie das Blut der Erde
«Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde», singt Udo Jürgens in seinem 1974 veröffentlichten Schlager über das Heimweh der griechischen Gastarbeiter in Deutschland. Wir wollen dem griechischen Wein ja nicht zu nahe treten, doch kompromissloser, terroirgeprägter Spitzenwein war in Griechenland bis vor wenigen Jahren unbekannt und Blut der Erde war er somit schon gar nicht. Klar, die Vulkanböden von Santorini und die darauf wachsenden Weissweine aus der Sorte Assyrtiko sind unter Weinnasen schon lange legendär. Der Durchschnittskonsument trinkt Santorini-Weine aber höchstens aus Fernwehgründen. Und dann wäre da natürlich noch der Retsina, der eher von den Aromen des Kiefernharzes als vom Terroir lebt. Doch es geht anders und das ist für viele neu: Griechenland hat einen unglaublichen Schatz an alten, autochthonen Traubensorten und mittlerweile gibt es auch Winzer, die mit diesen umzugehen wissen.
Ein Leuchtturm dieser Entwicklung sind die Weine und Winzer von Naoussa in der griechischen Region Nordmakedonien. Yannis Boutaris, eine der wichtigsten Winzerpersönlichkeiten Griechenlands, sorgte Mitte der 90er-Jahre mit Weinen aus der heimischen Sorte Xinomavro für Furore. Heute bezeichnet man sie als die ersten qualitätsorientierten Weine Griechenlands überhaupt. Doch die Qualitätsbestrebungen von Boutaris und einigen Mitstreitern fanden 2010 ein jähes Ende, als Griechenland in die Wirtschaftskrise stürzte. Naoussa galt schon damals unter Experten als vielversprechendstes Terroir Griechenlands, doch viele Bauern wollten in der Krise vom Traubenanbau nichts mehr wissen. Bis heute stehen Pfirsichbäume in mancher Toplage für Reben, diese bringen nun mal mehr Geld. Man kann es ihnen nicht verübeln: Es gibt nun mal Wichtigeres als Terroirwein, wenn man um sein Überleben kämpft.
Ausgebremst von der Krise aber genauso unbeirrt schreiten einige Kleinbetriebe in Naoussa seit Jahren weiter voran. Eine zentrale Rolle dabei spielen die beiden Freunde Apostolos Thymiopoulos und Kostis Dalamara. Beides Ausnahmewinzer, die auf biologischen und biodynamischen Anbau und minimale Intervention im Keller setzen. Xinomavro von der heutigen Qualität gab es in Naoussa vermutlich noch nie. Denn die Traubensorte braucht ganz einfach Könner, die sich um sie kümmern. Xinomavro ist schwer reif zu kriegen, überaus kapriziös und bei mangelndem Tanninmanagement sind die daraus resultierenden Weine harsch und rustikal. Zu viele Weinmacher probierten in der Vergangenheit, diesen Makel mit Restüsse zu überdecken – mit mässigem Erfolg. Doch gelingt ein Xinomavro, sind die Weine grandios, elegant, komplex, frisch und überaus lagerfähig. Oft wird die Sorte als «griechischer Nebbiolo» bezeichnet, was unserer Meinung nach aber weder dem Piemont noch der Region Naoussa gerecht wird.
Apostolos Thymiopoulos hat Jahrgang 1978 und zählt heute zu den modernen Erneuern des griechischen Weins allgemein. 2003 stellte er den elterlichen Mischbetrieb auf reinen Traubenanbau um und arbeitet heute auf seinen 23 Hektar rein biodynamisch. Vergoren wird spontan und grosse technische Hilfsmittel werden keine eingesetzt. Die Weine sind elegant, leicht und überaus frisch. In der Region Naoussa selbst sind die Weine auch zu finden, im Restgriechenland aber selten. 95 Prozent der Produktion exportiert Thymiopoulos. Der terroirgeprägte Stil und der damit verbundene Preis der Weine scheint im Ausland mehr Anhänger zu finden als im krisengebeutelten Griechenland.
Zu Thymiopoulos Mitstreitern gehört Kostis Dalamara. Dieser ist keine 30 Jahre als er 2007 das Weingut seiner Familie in sechster Generation übernimmt. Er lernte sein Handwerk im Burgund, setzt auf Biodynamie und lässt seinen Weinen die Zeit auf der Hefe, die sie brauchen, um ihre volle Komplexität zu zeigen. Die Einzellage Paliokalias spielt dabei eine zentrale Rolle. Alte Rebbestände, teilweise wurzelecht und vor der Reblauskrise gepflanzt, scheinen erst gerade zu Hochform aufzulaufen. Sein Grand Cru Paliokalias und insbesondere die Selektion Vignes Franches gehören laut Experten im In- und Ausland zu den besten Rotweinen Griechenlands überhaupt. Dalamara und auch Thymiopoulos scheint zu gelingen, was Generationen vor ihnen nicht vergönnt war: Griechischen Wein zu machen, wie ihn schon Udo Jürgens besungen hat, so gut und ausdrucksstark wie das Blut der Erde.