Hand aufs Herz Teil I: Italien fernab des Mainstreams
Die Erfolgsgeschichte Italiens als Weinland ist eigentlich phänomenal. Das Land gehört zwar schon seit Urzeiten zu den grössten Produzenten der Welt, schaffte es in den letzten Jahren aber immer weiter zu wachsen – gerade auch auf dem Schweizer Markt. In der Importstatistik ist Italien unumstritten Platz 1 und dennoch möchten wir von REB Wein die meisten italienischen Weine auf dem Schweizer Markt nicht trinken. Warum? Weil das Gros der italienischen Produzenten schon vor Jahren eingeknickt ist, seine Traditionen über Bord geworfen hat und heute dem einfachsten Weg folgt – dem des Massengeschmacks. Einmal mehr zeigt sich: Kommerzieller Erfolg ist kein Gradmesser für Qualität oder grossen Genuss.
Erfolgreich sind heute vor allem spritzige, leichte und restsüsse Weiss- und Schaumweine und dichte und üppige Rotweine. Das beweisen die schon jahrelang andauernden Grosserfolge von italienischen Klassikern wie Prosecco, Amarone und Primitivo. Gründe für diese Vorlieben bei den Konsumenten gibt es einige und wir meinen damit nicht etwa die oft heraufbeschworene „Cola-Generation“, die es so eh nicht gibt. Die Üppigtrinker gibt es in allen Altersklassen. Die Ursache der Entwicklung liegt darin, dass Journalisten und Verkoster lange gut bewerteten, was diesem Bild entsprach und irgendwie ist es dann auch nicht verwunderlich, dass viele Produzenten diesem Aufruf folgten. Ausserdem wollte man den Konsumenten vermutlich auch zeigen, dass man anders kann, als in den 70er- und 80er-Jahren, in denen die Massenproduktion durchaus dünne Weinchen hervorbrachte. Die Konsumenten nahmen das dankend an und die Logik, dass mehr auch besser ist, ist ja auch nachvollziehbar – mehr Tannin (-pulver), mehr Röstaromen vom Barrique, mehr Dichte, mehr Restzucker. Bis zum Platzen! Fürchterlich!
Üppige, opulente Weine zu machen, ist mit der entsprechenden Kellertechnik – von Traubentrocknung bis Vakuumverdampfer – ganz einfach. Die Italiener nennen das dann „Vino importante“, in unseren Ohren ein Unwort! „Importante“ sind für uns Eigenschaften wie Terroirausdruck, Finesse, Eleganz und Trinkbarkeit. Und ja, die kann man nun mal nicht forcieren, man erreicht sie nur mit absoluter Zurückhaltung und in Perfektion nur mit einer gewissen Demut vor der Natur, der Umgebung in der eine Rebe wächst und natürlich mit einer zünftigen Portion Selbstsicherheit.
Die Entwicklung des Massengeschmacks zur Üppigkeit hin betrifft natürlich lange nicht nur Italien, sondern auch Länder wie Spanien und Frankreich über die wir in den folgenden zwei REB Wein Lettern berichten werden. Doch bei Italien ist diese Entwicklung besonders bedenklich, weil diese konzentrierten Weine zu der von uns so heiss geliebten italienischen Küche eigentlich gar nicht passen. Um bei einem der obigen Beispiele zu bleiben: Ein Primitivo aus Apulien erschlägt geschmacklich auch das deftigste Bistecca Fiorentina, ganz zu schweigen von einfacheren italienischen Klassikern wie Pasta oder Pizza. Da passen eigentlich ganz andere Dinge dazu.
Begonnen beim Apéro mit Käse und Salumi – müssen wir dazu wirklich süsslichen Prosecco trinken? Ein Graus! Wenn Prosecco, dann in seiner klassischsten Form „Sui Lieviti“. Diese Weine werden mit Wildhefen spontan und in der Flasche vergoren. Das biodynamisch produzierte Exemplar von Gregoletto zum Beispiel ist ein unwiderstehlicher, frischer Trinkwein, der nicht nur zum Apéro perfekt passt.
Weiterfahren könnte man dann zum Beispiel mit einem Soave – einer der Weissweinregionen, die ihre Identität zu Gunsten des Massengeschmacks schon lange geopfert hat. Zum Glück nicht flächendeckend! Filippo Filippis Weissweine haben so gar nichts mit dem Soave aus dem Supermarkt zu tun, er lässt die Weine spontan vergären und belässt sie lange im Stahltank auf der Feinhefe. Resultat sind puristische, terroirgeprägte und auch lagerfähige Weine. Von seinem Soave Cru „Castelcerino“ haben wir noch den leicht gereiften 2013er an Lager – der perfekte Begleiter zu Rohkost und Gemüsegerichten wie Cima di Rapa, Cicorino und Co. Zu italienischen Klassikern wie Pizza oder Pasta schmecken opulente Bombenweine erst recht nicht. Ein klassisch ausgebauter Chianti – wie die von Montebernardi zum Beispiel – sind dort die richtige Wahl. Unser Geheimtipp zur Pizza aber ist ein ganz anderer – Die Fattoria Moretto produziert trockene Lambruscos, die so gar nichts mit den süssen Weinchen zu tun haben, die unter diesem Label oft angeboten werden. Der Einzellagen-Lambrusco Monovitigno besticht durch Noten von Brombeeren, Thymian, Blumen und Mineralien und wird damit zum absoluten Volltreffer zur Pizza. Diese drei Beispiele und viele weitere mehr beweisen es: Die italienischen Weine, die ihre Herkunft zeigen und sich nicht dem Mainstream beugen, sind Grund genug, immer mehr italienischen Wein zu trinken. Die opulenten und restsüssen Tropfen überlassen wir gerne den anderen.